40-jähriges Schuljubiläum der Freiburger Taiji- und Qigong-Schule von Axel Dreyer
Nach meiner Referendarzeit als Lehrer kam ich 1983 nach Freiburg. Man wurde damals selten sofort vom Land übernommen, also stand ich für unbestimmte Zeit auf einer sogenannten Warteliste. Was sollte ich tun? Ich hatte 1978, noch während meines Studiums, Taiji, die chinesische Bewegungsmeditation kennengelernt und in den vergangenen 5 Jahren regelmäßig Seminare besucht und meine eigene Übungspraxis fortgesetzt. Daher war es für mich naheliegend auszuprobieren, ob die Menschen in Freiburg Interesse an einem Taiji-Angebot hatten. Ich hatte Glück, die Taiji-Welle nahm gerade ihren Anfang und ich war wohl der erste Taiji-Lehrer in Freiburg. Mein erster Kurs fand in der FABRIK in der Habsburger Straße statt, daraus ergaben sich weitere Kontakte. Ein Arzt aus der Rheintalklinik in Bad Krozingen lud mich ein, in der Klinik zu unterrichten und so kam eins zum anderen. Neben verschiedenen öffentlichen Institutionen habe ich meine Kurse immer auch in meiner eigenen Schule angeboten. Als sich das Oberschulamt nach 2 oder 3 Jahren bei mir meldete, und mir eine Stelle anbot, habe ich dankend abgelehnt. In den 80ger und 90ger Jahren boomte Taiji, ich allein konnte die Nachfrage bald nicht mehr bedienen und fragte daher einige meiner erfahrensten Schülerinnen, ob sie mir beim Unterrichten helfen. Wir waren sogar an Wochenenden unterwegs von Karlsruhe bis zum Hochrhein entlang der Schweizer Grenze. Einer meiner Schüler damals war Telemach Wiesinger und so geschah es, dass ich in seinem Buch “Mensch Freiburg. Gesichter einer Stadt” zusammen mit bekannten Freiburgern wie zum Beispiel dem Weltmeister im Ringen Adolf Seger, oder Gernot Erler, zuletzt Russland-Beauftragter der deutschen Bundesregierung, oder Otto Schubnell dem freundlichen Schalterbeamten des Wiehre-Bahnhofs erwähnt wurde.
Aber allmählich nahm die “Konkurrenz” zu, es tauchten überall neue Taiji-Lehrerinnen auf und hinzu kam eine dem Taiji sehr verwandte Methode, das Qigong. Taiji ist ja kein geschützter Beruf, jede/r kann sich Taiji-Lehrerin nennen und Menschen ohne Vorerfahrung können kaum beurteilen wie qualifiziert der oder die Anbietende ist. Unsere kleine Schule besteht aktuell aus 7 Lehrerinnen, die alle von mir nach den Richtlinien der Fachverbände ausgebildet wurden. Was uns unter anderem auszeichnet, ist, dass die Ausbildungsteilnehmerinnen schon viel Übungspraxis in die Ausbildung mitbrachten. Der Jüngste 7 Jahre, die Älteste 25 Jahre, inzwischen liegt der Durchschnitt genau bei 30 Jahren. Aber qualifizierter Unterricht ist nicht nur eine Frage von Jahren, wichtiger ist die Frage welches Anliegen hat der/die Lehrerin? Versteht er/sie Taiji als Heilgymnastik, als Selbstverteidigung, ist es für ihn/sie vor allem ein Geschäftsmodell, geht es ihm/ihr hauptsächlich um Anerkennung in seiner/ihrer Rolle als Lehrerin? Je nach Motivation fällt der Unterricht anders aus. Lehrersein ergibt sich aus fachlicher und pädagogischer Kompetenz sowie menschlicher Reife.
China hat eine jahrtausendealte Bewegungskultur, die sich im Taiji verdichtet. Dieser Überlieferung ist ein Taiji-Lehrerin verpflichtet. Unzählige Lehrer haben in der Vergangenheit ihre Zeit, ihr Wissen und ihre Energie darauf verwendet ein Übungssystem zu schaffen, das in sich ausgereift, schlüssig und intelligent ist und eine tief gehende Wirkung auf die harmonische Entwicklung des Menschen hat. Taiji setzt keine besondere Begabung voraus, jede/r kann die Bewegungen, die entspannt, ruhig, geerdet, sanft, rund, fließend aufgerichtet, belebt usw. ausgeführt werden, durch eine regelmäßige und engagierte Übungspraxis erlernen.
Abgesehen von der harmonisierenden Wirkung auf den Körper und die Psyche berücksichtigen wir in unserer Schule auch die geistige, bzw. spirituelle Dimension, wie es eigentlich Tradition ist bei den meisten asiatischen Übungswegen (Judo, Aikido, Kendo). Jede Unterrichtseinheit besteht aus Lockerungsübungen, der Formenlehre samt Korrektur, Partnerübungen sowie Stille- und Energieübungen. Um den Taiji-Prozess in Gang zu bringen, bieten wir ein zweimaliges Training pro Woche an (Montag und Mittwoch 18.00-19.30 Uhr). Die Königsdisziplin im Taiji ist die Übertragung von Prinzipien wie Nachgeben, Sanftheit, Mitgefühl bei gleichzeitig innerer Stärke in den Alltag. Dass wir dabei immer wieder auch scheitern, nehmen wir mit wohlwollender Gelassenheit hin.